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Artikel zur Untertage- Lagerung von Bauschutt aus AKWs

 

http://www.jungewelt.de/2013/11-09/007.php

 

Wochenendgespräch

 

09.11.2013 / Wochenendbeilage / Seite 1 (Beilage)

 

»Die saufen irgendwann alle ab«

 

Gespräch mit Marcos Buser. Über die langfristigen Risiken der Untertageentsorgung von Giftmüll, die Situation in deutschen Deponien und die Notwendigkeit staatlicher Regulierung

 

Alexander Bahar

 

 

 

Marcos Buser ist Geologe und Nuklearexperte. Er betreibt in Zürich ein Institut für nachhaltige Abfallwirtschaft. Er war Mitglied der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) und trat im Juni 2012 von diesem Amt zurück.

 

 

 

Sie warnten 1998 in einem Gutachten vor dem Export von Sondermüll aus der Schweiz in deutsche Versatzbergwerke. Wie wurde es seinerzeit aufgenommen, und welche praktischen Konsequenzen hatte es?

 

Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Bei den deutschen Bergbaubehörden gab es einen regelrechten Skandal, weil sich diese plötzlich mit völlig neuen Fragestellungen konfrontiert sahen. Fragen, die sie zuvor nie überlegt hatten, vor allem mit der nach der langfristigen Sicherung der Bergwerke und hier insbesondere mit der Frage der hydraulischen Gefährdung. Die wird systematisch unterschätzt. Statt dessen nimmt man konsequent nur die guten Prognosen für sich in Anspruch.

 


Man schließt den Worst Case also komplett aus?

 

Richtig. So schließt man zum Beispiel aus, daß ein Schachtverschluß mit der Zeit undicht werden und daß entlang dieser Schachtverschlüsse Wasser eindringen könnte, z. B. entlang von im Bergwerk eingebauten Beton- oder Eisenbetonelementen. Auch wenn diese Verschlüsse durchaus klug konstruiert sind, wissen wir nicht, ob sie langfristig halten. Es gibt keine Erfahrungswerte, vor allem aber gibt es die nicht im Einbau von nichtnatürlichen Materialien in eine Gesteinsschicht. Wir wissen nichts über die langfristigen Reaktionen. Das sind sehr heikle Fragen, die sich nicht allein mit Berechnungen wie sogenannten Langzeitsicherheitsnachweisen lösen lassen. Das ist eine Illusion.

 


Gab es noch weitere Reaktionen auf Ihr Gutachten?

 

Die abfallexportierende Industrie war entsetzt, aber das deutsche Umweltbundesamt, bei dem wir auch vorgesprochen haben, war sehr besorgt, und der damals zuständige Mitarbeiter nahm viele unserer Kritikpunkte sehr ernst und teilte unsere Besorgnisse. Und unser Auftraggeber, das Schweizer Bundesamt für Umwelt, war froh über das Gutachten, weil es die Position der Schweiz stützte, den Export dieser Stoffe nicht auszuweiten und nur die Einlagerung in Untertagedeponien (UTD) zu bewilligen.

 

Wie ist die Rechtslage in der Schweiz? Gibt es hier UTD zur Entsorgung von Rückständen aus der Rauchgasreinigung?

 

Nein, wir haben in der Schweiz keine. Zur Beseitigung von Rauchgasreinigungs-rückständen gibt es z. B. die sogenannte saure Wäsche, ein Verfahren, bei dem man mit Säure die Schwermetalle zu einem guten Teil herauswäscht, der Rest kann dann der Schlacke beigemischt werden und wird so verdünnt. Es gibt weitere

 

Verfahren, aber keines davon ist wirklich zufriedenstellend. Gegenwärtig versucht man innerhalb eines Pilotprojekts in einer Müllverbrennungsanlage, eine möglichst weitgehende Wiederverwertung der Metalle zu erreichen. Die Verbrennungstechnik wurde optimiert, was eine Schlackenaufbereitung und damit die Rückgewinnung von Metallen und Schwermetallen ermöglicht.

 

Was hat die Schweizer Betreiber dieser Anlagen veranlaßt, den Müllexport nach Deutschland auszuweiten?

 

Das waren vor allem finanzielle Gründe, es wurde bei der Beseitigung von Rauchgasrückständen gespart. Den Anfang machte die Kehrichtverbrennungsanlage Basel. Das führte zu einer parlamentarischen Anfrage durch den ehemaligen SP-Ständerat Gian-Reto Plattner, in deren Folge sich das Parlament für eine beschränkte Exportlösung in UTD ausgesprochen hat. Es gab damals, seit 1972, bereits die UTD Herfa-Neurode in Hessen. Sie wurde für spezielle Chemierückstände und anorganische Reststoffe verwendet, so auch für Rückstände aus der Basler Chemie.

 

Aber im großen Maßstab wurden Schweizer Rauchgasreinigungsrückstände erst seit den 1990er Jahren in UTDs eingelagert, z.B. in der UTD Heilbronn.

 


Im Januar 2013 wurde dort beim Öffnen einer Giftkammer zufällig ein Gesteinsabbruch entdeckt – laut Presseberichten hatten sich Gesteinsmassen von geschätzten 300 Kubikmetern gelöst, nachdem bereits in den 1980er Jahren Wasser, teilweise bis zu 50 Liter pro Stunde, in die Grube Kochendorf gesickert war. In der

 

Folge wurde ein neuer Langzeitsicherheitsnachweis notwendig. Dennoch sieht das Landesamt für Geologie, Rohstoff und Bergbau in Freiburg im Breisgau keine »Gefahr, daß durch Gesteinsabbrüche Abfallgebinde beschädigt und dadurch giftige Stoffe freigesetzt werden«. Sehen Sie das auch so?

 

Wenn sich Gesteinsmassen von einem derartigen Volumen lösen, dann zeigt das, daß sich das Gebirge verformt und daß eine meßbare Veränderung im Spannungsfeld stattfindet. Die Effekte, die kurzfristig damit verbunden sind, können sehr vielfältig sein. Es kann erst einmal gar nichts passieren, aber mittel- oder längerfristig wird sich das wiederholen, sofern die Hohlräume offen sind, und zwar nicht nur an einer Stelle, sondern an vielen Stellen. Und dadurch wird natürlich das Risiko des hydraulischen Kurzschlusses immer größer werden, das heißt, daß irgendwo, z. B. an alten, an natürlichen tektonischen Störungsflächen kleine Verschiebungen stattfinden und daß mit der Zeit, in 100, 200, 500 Jahren, eher früher als später, Wasser in diese Grube eintritt. Leute aus der Bergwerksindustrie haben immer sehr offen über die hydraulischen Gefährdungen gesprochen, und man weiß ja, daß auch in

 

Deutschland eine sehr große Anzahl alter Bergwerke abgesoffen ist, seit 1856 statistisch gesehen sogar jedes zweite. Aber auch neuere können diese Probleme bekommen. Die kann man heute zwar technisch sehr viel besser beherrschen, aber sobald eine Grube verschlossen ist und sich selbst überlassen bleibt, nimmt die Gefährdung natürlich wieder zu.

 

In Ihrem Gutachten zitieren Sie einen inzwischen verstorbenen Bergwerksdirektor, der sagte: »Diese Salzbergwerke werden alle irgendwann absaufen.«

 

Der Mann war ganz ehrlich. Für diese Äußerung wurde er, wie er uns später sagte, von Kollegen massiv kritisiert. Interessanterweise ist man in der DDR mit dem Problem hydraulischer Gefährdungen viel offener umgegangen, weil man keine politischen oder ökonomischen Konsequenzen zu fürchten hatte. Das waren alles Staatskombinate, während die Verantwortlichen im Westen, wo es sich vornehmlich um Aktiengesellschaften handelt, versuchen, diese Gefahren während der Betriebszeit kleinzureden. Die alten Salzbergwerke wurden in den letzten DDR-Jahren

 

massiv überausgebeutet bis hin zum Abbau von Sicherheitsreserven. Entsprechende Warnungen seitens der Verantwortlichen der Bergwerkskombinate hat man ignoriert. Das hatte große Stabilitätsprobleme mit raschen Senkungen zum Teil in bebauten Gebieten zur Folge. Nach 1990 kam man dann auf die trickreiche und ökonomisch

 

äußerst interessante Idee, Abfälle für die Stabilisierung zu verwerten. Die ostdeutschen Gruben waren die ersten, die auf diesem Weg zu Versatzbergwerken umfunktioniert wurden. Die von den Betreibern und der Politik aufgebotenen Experten haben das seinerzeit, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alles wissenschaftlich abgesegnet. Die von den Betreibern und der Politik aufgebotenen Experten haben das seinerzeit, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alles wissenschaftlich abgesegnet.

 

Richtig. Solche Gutachten, die mit Risiken und langen Zeiträumen zu tun haben, sind extrem anspruchsvolle Unterfangen, denn es gibt keine Erfahrungswerte.
Nach den neuesten Berechnungen sind allerdings die Konvergenz-, also die Senkungsbewegungen an der Oberfläche bzw. die Bewegungen im Salzbergwerk Heilbronn- Kochendorf viel größer als ursprünglich prognostiziert. Das ist typisch. Man zieht Experten bei, teils bekannte Universitätsprofessoren, bezahlt sie gut. Viele dieser Expertisen blenden aber kritische Punkte aus, und wenn später Probleme auftreten, werden die Gutachter nicht mehr belangt. Wir brauchen viel mehr Unabhängigkeit im Gutachterwesen, insbesondere wenn es sich um Langzeitfragen handelt.

 

Wenn nun die Stadt Heilbronn besorgte Bürger immer wieder auf den nun angeblich erneuerten Langzeitsicherheitsnachweis verweist, was ist davon zu halten?

 

Langzeitsicherheitsnachweise sind Berechnungen, die aufgrund von gewissen Annahmen getroffen werden entsprechend ganz einfachen physikalischen Gesetzen, und das wird dann extrapoliert über die Zeit. So heißt es zum Beispiel: Ja, in 10000 Jahren kann die Konvergenz z.B. alle Kavernen verschließen, und da kommt nie Wasser rein. Tatsächlich sind das aber Berechnungen ohne jeglichen Beweiswert, Papiertiger und keine Nachweise. Wir kennen das auch von den Deponieplanungen. Man sieht heute, wie eine Deponie nach der anderen saniert werden

 

muß, (Tageszeitung junge Welt

 

http://www.jungewelt.de/2013/11-09/007.php?print=12  von 4 11.11.2013 11:24)   

 

weil die Prognosen zur Sicherheit der Anlage sich als falsch erwiesen haben. Gleiches gilt auch für Atommüllendlager, das Beispiel Asse spricht Bände.

 

Was könnte denn im Falle des schlimmsten Szenarios – eines Gesteinsabbruchs mit Wasserzutritt – in die Giftmüllkammern passieren? Und wie wahrscheinlich ist das aus Ihrer Sicht?

 

Nehmen wir das Beispiel des Kalibergwerks Stocamine im Elsaß. Bis zu dem verheerenden Großbrand im September 2002 galt es als eine der sichersten Sondermülldeponien. In der Folge hat das französische Umweltministerium eine

 

Expertengruppe zur Überprüfung der Langzeitsicherheit des Bergwerks eingesetzt. Die dreizehn Experten, darunter auch deutsche und Schweizer, kamen einhellig zu dem Schluß, daß ein Wassereinbruch, also ein Absaufen der Grube nicht verhindert werden könne. Es muß davon ausgegangen werden, daß beim Einsickern von Wasser aufgrund der verschiedenen Druckgefälle ein hydraulischer Kreislauf entsteht, der Schadstoffe wieder nach oben bringt. Das würde langfristig zu einer erheblichen Grundwasserkontamination, namentlich mit Quecksilber und Arsen, führen.

 

Als Konsequenz forderte die Expertengruppe deshalb zumindest eine Teilsanierung, also die Entfernung der quecksilberhaltigen und arsenhaltigen Abfälle aus der Grube. Professor Wildi aus Genf und ich sind einen Schritt weiter gegangen, wir haben gesagt, räumt das ganze Lager, denn jetzt ist es noch relativ einfach, den Müll

 

herauszuschaffen, das ist auch billiger. Bringt ihn nach Herfa-Neurode, damit man ihn in einer weiteren Phase behandeln respektive herausnehmen kann.

 


Ein mögliches Absaufen der Grube, wie hier für Stocamine prognostiziert, wird von den Betreibern und den politisch Verantwortlichen in Heilbronn und dem Land Baden-Württemberg kategorisch ausgeschlossen. Wie sehen Sie das?

 

Die Gruben Kochendorf und Heilbronn liegen sehr nahe an der Oberfläche – 200 oder 250 Meter Überdeckung sind nicht viel. Zudem gibt es eine Verbindungsstrecke zwischen den Bergwerken Heilbronn und Kochendorf. Diese Verbindungsstrecke wurde eingerichtet, um Kosten zu sparen, weil das Gesetz aus Sicherheitsgründen für ein Bergwerk zwei Schächte verlangte, und da hat man entschieden, diese beiden Bergwerke zusammenzulegen. Seitens der Geologen war das von Anfang an umstritten. Stellen Sie sich vor, Sie verbinden ein Bergwerk über Kilometer hinweg, und sie queren tektonische Störzonen, das ist heikel in Bezug auf die Langzeit-sicherheit. Das heißt, wenn in diesem sehr komplexen System auf einmal Wasser zutritt, was auch nach Verschluß des Bergwerks passieren kann, dann wird der gleiche Motor anspringen wie bei Stocamine. Dann haben sie aufgrund von Druckdifferenzen das Szenario, daß das Wasser versickert und an anderer Stelle wieder herausgepreßt wird.
Man muß sich dessen bewußt sein: Ein Bergwerk ist auch ein Bauwerk, das altert, das Spannungskräften ausgesetzt ist, das sich verformt, es entstehen Risse, Wasser dringt ein. Das heißt, langfristig müssen Sie damit rechnen, daß eine Kontamination des Grundwassers mit gravierenden Konsequenzen stattfinden wird. Die Frage ist nur, wann sich dieser Störfall ereignet. Ob das in 50 oder in 100 oder in 500 Jahren sein wird, kann ich nicht vorhersagen. Aber das Risiko, die Wahrscheinlichkeit, daß es dazu kommen wird, ist derart groß, daß die einzig richtige Konsequenz ein grundsätzliches Umdenken in der Abfallpolitik ist. Wir können nicht auf die Dauer die Abfälle sozialisieren, das heißt, die Probleme, die mit der Abfallentsorgung verbunden sind, zukünftigen Generationen aufladen.

 


Wie beurteilen Sie grundsätzlich vor diesem Hintergrund die Praxis, Salzbergwerke mit Sondermüll zu »versetzen«?

 

Dies ist nicht nachhaltig. Wir haben die gleichen Strategien bei Kiesgruben, Steinbrüchen und Tongruben angewendet, immer hieß es, die seien dicht, und überall ist es schiefgegangen. Trotz aller Oberflächendichtungssysteme, Basisabdichtungen und Drainagen – das Wasser hat immer seinen Weg gefunden. Ein Bergwerk mit Sonderabfall zu verfüllen folgt der gleichen Logik und ist ein gravierender Fehler, vor allem in dichtbesiedelten Gebieten. Kurzfristig verdient die Stadt Heilbronn natürlich durch die doppelte Nutzung mit Salzabbau und Einlagerung von Sondermüll viel Geld. Auf lange Sicht ist es aber töricht, wenn hier Sondermüll deponiert wird, um das Bergwerk damit zu stabilisieren.

 


Seit zwei Jahren ist in Stuttgart eine Grünen-geführte Landesregierung im Amt. Während gerade die Grünen früher vehement gegen die Deponierung von Giftmüll protestiert haben, scheinen sich auch ihre Spitzenpolitiker längst mit dessen Untertageentsorgung arrangiert zu haben. Welche Erfahrungen machen Sie

 

als Schweizer mit grünen Parteien?

 

Grüne Regierungen haben natürlich mit den gleichen Sachzwängen zu tun wie alle anderen. In den seltensten Fällen haben sie aber den Mut, eine andere Art von Politik zu machen. Ich kenne keine grüne Regierung, die im Abfallbereich wirklich etwas grundsätzlich anders gemacht hätte. Es ist ja bequem zu sagen, alles läuft rund, denn

 

die großen Probleme kommen erst ein paar Generationen später.

 

Nun ist der Müll aber einmal vorhanden. Welche Alternativen gäbe es zur Entsorgung unter Tage? Wie sollte man mit einer UTD wie der in Heilbronn verfahren?

 

Die heutige Situation im Abfallbereich ist sehr unbefriedigend. Sie ist das Ergebnis davon, daß man in den letzten 100 Jahren giftige Abfälle einfach der Natur überlassen hat. Dabei hat man viele und schwerste Verschmutzungen des Grundwassers und des Bodens in Kauf genommen. Überall, auch in Deutschland, werden heute Altlastenkataster erstellt, dabei werden verschmutzte Flächen erfaßt, und es wird die Dringlichkeit von Sanierungen festgestellt. Das zeigt, daß wir die Abfallproblematik nicht im Griff haben. Der erste notwendige Schritt ist deshalb, das Bewußtsein

 

zu schaffen, daß wir mit Abfällen grundsätzlich anders umzugehen haben. Solange dieser Schritt nicht gemacht ist, wird man weiterhin so verfahren, wie das seit der Steinzeit Praxis war, man wird das Zeug wegwerfen oder vergraben. Dabei spielt es keine Rolle, ob man es an der Oberfläche beläßt oder in eine tiefe Grube tut, wenn das Gift letztlich wieder in die Nahrungskette gelangt. Natürlich können die Sachzwänge, auch im Fall der UTD Heilbronn, nicht plötzlich aufgehoben werden. Was aber heute schon machbar wäre, sind zwei Dinge: Erstens eine verschärfte Politik für den Sondermüll in Gang zu setzen, die darauf abzielt, Sonderabfälle schrittweise teurer zu machen, so daß die Wiederverwertung bezahlbar wird – und zweitens die entsprechenden Forschungsprogramme zu starten, um die Rückgewinnung zu gewährleisten. Bei Rauchgasreinigungsrückständen lassen sich z. B. schon heute

 

durch geeignete Techniken hohe Rückgewinnungen von Metallen erreichen – weit über 90 Prozent.

 

Aber diese Kosten werden die Unternehmen doch letztlich an die Verbraucher weitergeben.

 

Sicher, aber das sind letztlich kleine Zusatzkosten. Die Produkte würden dadurch nur geringfügig teurer werden. Das entscheidende Problem ist die Unternehmer-philosophie im sogenannten freien Markt: Kosten senken, wo auch immer. Da ist eine staatliche Regulierung unerläßlich. Wenn die Menschheit weiter so wächst wie bisher, werden die Rohstoffe zwangsläufig knapper, wird ihre Förderung aus der Tiefe immer teurer. Hier könnten wir von der Antike lernen. Schon damals wurden die Abfälle getrennt und möglichst verwertet, weil Abfall auch als Rohstoff

 

galt. So landeten praktisch nie Metallgegenstände auf dem Müll, weil Metall so wertvoll war, daß man es wieder eingeschmolzen hat. Das ist alles eine Frage des Preises.

 



 

Ist es nicht vor allem eine Frage der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisation?

 

Natürlich. Es gibt ein wunderschönes Beispiel, das zeigt, wie man es eigentlich machen müßte: Das ist die Cloaca Maxima, das Kanalsystem im alten Rom zur Entwässerung der Senke zwischen Palatin und Kapitol, dem späteren Forum Romanum. Dieses zweieinhalbtausend Jahre alte Bauwerk ist immer noch in Betrieb. Die Leute, die das angelegt haben, sahen, die Stadt wird groß, sie wird enorm groß, also müssen wir eine überdimensionierte Abwasserleitung bauen. Dieses Bauwerk hat sich über diese lange Zeit vielfach amortisiert, und das Beispiel zeigt, daß langfristiges Denken der richtige Weg ist.

 

Das heißt, man hat tatsächlich vorausschauend gedacht. An kurzfristigem Profit orientierte Unternehmen werden das wohl kaum automatisch tun.

 

Leider. Deshalb braucht es einen Regulator, der nach ganz anderen Grundsätzen entscheidet. Das ist ja im Grunde auch Teil des Programms der Grünen …

 

… aber sie setzen es nicht um.

 

Ich bin selbst alles andere als ein Regulierungsfan. Ich sehe die Risiken, alles über Gesetze und Verordnungen zu steuern. Ich möchte keinen administrierten, alles kontrollierenden Staat haben. Doch in Risikobereichen sollte ein Staat seine Verantwortung wahrnehmen. Ob es nun um die Banken geht oder um die nukleare Sicherheit, bei diesen Fragen darf ein Staat nicht versagen. Und darum muß er in solchen Fällen eingreifen.